Die Kultur der yidish-sprachigen Bevölkerung erblühte zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert in Polen, dem Baltikum und den umliegenden Gebieten mit Zentren in Warschau, Krakau und Wilna. Durch Pogrome nationalistischer und christlicher Fanatiker gegen die meist jüdisch-gläubige Nachbargruppe wurden um 1900 Auswanderungsbewegungen vor allem in Richtung Westeuropa, Amerika und Palästina erzeugt. Der Hitler-Diktatur, ihrer Nazi-Ideologie und ihrem Expansions- und Vernichtungskrieg fielen ab 1939 Millionen jüdisch-stämmiger Menschen zum Opfer. Im ehemals riesigen Siedlungsgebiet mit einer yidishen Bevölkerung von über 11 Millionen gibt es heute fast keine yidishe Kultur mehr. Das yidishland besteht nur noch aus immer kleiner werdenden Inseln weltweit. Da es kaum mehr Muttersprachler*innen gibt, gilt das Yidishe als eigenständige, lebendige Sprache und Kultur heutzutage als vom Aussterben bedroht.
Yidish und Deutsch sind enge Verwandte
Das Yidishe hängt eng mit der Kultur Deutschlands zusammen, nicht nur wegen seiner Zersplitterung durch den deutschen Nationalsozialismus. Vielmehr geht die Entstehung der ursprünglich in hebräischer Schrift abgefassten yidishen Sprache zurück auf süddeutsche Dialekte um das Jahr 1300. Durch Pogrome und Feindseligkeiten christlicher Nachbarn im Rhein-Main-Donaugebiet hatte es ab dem 14. Jahrhundert eine massenhafte Auswanderung deutsch-jüdischer Menschen in für sie gastfreundlichere mittelosteuropäische Herrschaftsgebiete gegeben. Dort entwickelte sich ihr „Juden-Deutsch“, das zu etwa 70 Prozent aus westgermanischen Sprachelementen und hebräisch-aramäischen Begriffen bestand, unter Hinzunahme von slawischen Worten und Grammatikteilen weiter zum yidishen Idiom. In den vergangenen über 700 Jahren gab es weitere deutsch-yidishe Wechselbeziehungen auf sprachlichen, kulturellen, religiösen, philosophischen und musikalischen Ebenen.
Eine große Faszination geht von den Melodien und Rhythmen der Klezmer-Musik sowie von ihren Texten aus. Selbst in der schlimmsten Leidenszeit wurden yidish-sprachige Lieder gedichtet und komponiert und in den Theatern der jüdischen Ghettos bis kurz vor ihrer Zerstörung aufgeführt. In den Gemeinschaften der Entkommenen wurde die Kultur und Musik weiterentwickelt. So entstand in Argentinien der yidishe Tango und in den USA der weltberühmte Klezmer, zurückgehend auf alte Musiktraditionen der klezmorim, yidisher Hochzeitsmusiker. Typisch für den vorwiegend instrumentalen Klezmer und die yidishen Lieder, die Klezmersongs, ist der Wechsel von nachdenklicher Melancholie und tanzhafter Fröhlichkeit in Texten und Melodien. Hauptziel des connect!-Projekts yidishe lider – klezmer songs & stories mit seinen Tonträgern, Publikationen und dem Festival ist die intensive, wissenschaftlich untermauerte Bekanntmachung und Verbreitung der yidishen Kultur, ihrer Musik und Dichtkunst.
Die zweite Auflage des Festivals yidishe muzik – klezmer songs & beats wurde gefördert vom Kulturamt der Stadt Stuttgart, der evangelischen Kirchengemeine Stuttgart-Heslach, dem Generationshaus Heslach, der Rudolf Schmid und Hermann Schmid Stiftung Stuttgart, dem MüZe Süd – Familienzentrum Stuttgart e.V., sowie von Chivasso – Café-Bistro-Bar (Stuttgart Heslach), Freies Radio Stuttgart, connect! – gemeinnütziger Verein für Musik – Tanz – Kultur e.V., mordechaj gebirtig project, Jüdisches Museum Berlin und der University of Iowa (Iowa City / USA).
Rachel Anne Joselson (USA)
Revital Herzog (Reutlingen)
Böblinger Vokalensemble
Prof. Tilman Jäger
Eva und Jakob Jäger (München)
Bülent Bakir (Stuttgart)
Simon Wallenda (Stuttgart)
Wulf Otto Dreeßen und Harald Knaus, Universität Stuttgart
Yvonne Gomez-Serrano (Reutlingen)
Uwe von Seltmann (Krakau/Polen)
fojgl – Flying Klezmer (Fellbach)
Roland Maier und Siggi Brüggemann (Stuttgart)
Kristina Stary (Baienfurt)
oygnblik – klezmer songs & stories
Pfarrerin Katrin Büttner (Stuttgart)
Kurt Baldes (Stuttgart)
Frank Eisele, Barbara Stoll und Katharina Wibmer (Stuttgart)
Kammerchor Heslach
Markus Kern (Stuttgart)
Vom 26. bis zum 28. Juli 2019 fand die zweite Auflage des Festivals yidishe muzik – klezmer lyrics & tunes rund um den Erwin-Schöttle-Platz in Stuttgart-Heslach statt. Die Projektgruppe yidishe lider – klezmer songs & stories des connect! e.V. veranstaltete gemeinsam mit der Klezmerband oygnblick an drei Tagen Band- und Chorkonzerte, Erzähl- und Musikveranstaltungen, Stadtteilrundgänge, Vorträge und Workshops.
Alle Interessierte waren herzlich dazu eingeladen, sich in den drei Festivaltagen zu informieren und zu beteiligen, einzutauchen und sich inspirieren zu lassen, mitzusingen und zu tanzen, nachzufragen und Impulse zu liefern. Gemeinsam mit etwa hundert Musiker*innen, Künstler*innen und Wissenschaftler*innen haben unsere Besucher*innen yidishe Musik und Kultur aufleben lassen und sie weitergetragen.
www.yidishe-lider.org
www.oygnblik.org
Generationenhaus Heslach
Gebrüder-Schmidt-Weg 13
70199 Stuttgart
Matthäuskirche
Möhringer Str. 52
70199 Stuttgart
Café-Bar Chivasso
Böblinger Str. 86
70199 Stuttgart